Auf Zeitreise

Seit mehr als 125 Jahren fertigen die Neubers in Seiffen Holzspielzeug und Volkskunst – eine Spitzen-Leistung, die selbst im traditionsreichen Spielzeugdorf Seiffen nur wenige vorweisen können. Kommen Sie mit uns auf eine Zeit-Reise, die uns von den Anfängen bis hin zu den Ideen der Zukunft führt.


Von Sylva Sternkopf | Fotos: Manuela Hamburg


Annett Neuber sitzt mit zwei anderen Frauen in der Werkstatt, vor sich eine Kiste mit winzigen Weihnachtsmannschlitten. Sie sind für die Rentierpyramide bestimmt, im wahrsten Sinne des Wortes der Renner im Neuber’schen Sortiment. »Der Weihnachtsmann muss ganz fest im Schlitten sitzen, damit die fliegenden Drehteller nicht aus dem Gleichgewicht geraten«, verrät die taffe Mittvierzigerin. »Und auch die Rentiere müssen immer gleich viel fressen, damit keines schwerer ist als das andere.« Die Idee, dass sich die reifengedrehten Rentiere nicht nur auf der Erde, sondern auch in der Luft drehen, stammt von ihrem Sohn Christian, der gerade 21 geworden ist und sich frischgebackener Holzspielzeugmacher nennen darf. Die Rentierpyramide ist sein Lieblingsartikel. »Ich fand die Idee toll, den Rupprich in seinem Schlitten um die Erde fliegen zu lassen. Ich habe lange mit verschiedenen Holzarten experimentiert, bis ich rundum zufrieden war.«

In seinem Gesellenstück hat Christian Neuber die Rundung des Schwibbogens optisch aufgelöst – zu einer Schiene für die Loren, die früher im Bergwerk fuhren. Eine völlig neue Sichtweise, wie sie typisch ist für Neubers – und das seit sechs Generationen. Der Familienbetrieb feiert in diesem Jahr sein 125-jähriges Jubiläum – selbst in einem Traditionsdorf wie Seiffen ist dies eine Seltenheit. 1892 wurde das Unternehmen von Christians Ur-Ur-Uropa gegründet, Emil Neuber hieß der Gründer, dann kam Artur, dann Hans, dann Holger, dann Knuth mit Annett und jetzt Christian. Opa Holger Neuber, 75, führt uns ins Musterzimmer. »Hier ist’s genauso klein wie im ganzen Haus«, schmunzelt er und erzählt, dass sich die Handwerker-Dynastie der Neubers in Seiffen sogar bis ins Jahr 1750 zurückverfolgen lässt. Damals arbeitete der erste Vorfahre in den Seiffener Gemeinschafts-Drechslerstuben, deren Drehbänke mit Wasserkraft betrieben wurden. An Artur Neuber kann sich Holger noch erinnern. Haus- und Küchengeräte fertigten die Neubers zu seiner Zeit, Schneidbretter, Löffel und Quirle – was die Hausfrau in den 1930er und 40er Jahren halt so brauchte. Später stand Raum- und Tafelschmuck hoch im Kurs: Kerzenständer, Tischvasen und Blumenständer. In den 1960er Jahren wurde umgestellt auf Spielzeug. Der kleine Holztraktor mit den roten Rädern ruft bei allen im Raum ein begeistertes »Ooohhh!« hervor – jeder kennt ihn, jeder hatte ihn als Kind. 250 Stück pro Woche fertigten die Neubers einst, dazu Eisenbahnen und den bekannten Möbeltransporter aus Holz, der in keinem Kinderzimmer der sechziger und siebziger Jahre fehlen durfte.

 Mit der Wende brach die Nachfrage nach Kinderspielzeug schlagartig ein. Zu schön waren die Plastikautos, die man plötzlich überall bekommen konnte. Doch stand das Kunsthandwerk ganz hoch im Kurs. Was für ein Glück – Holgers Sohn Knuth hatte 1988 ausgelernt, machte 1996 den Meister und sprühte nur so vor Ideen. Zunächst orientierte er sich an den klassischen Entwürfen des renommierten Seiffener Gestalters Hans Reichel und schenkte dessen Striezelkindern und Räuchermännern aus den 1930er Jahren neues Leben. Dazu kamen Kurrendekinder und Kirchen, Schwibbögen und Teelichtpyramiden – zunächst einfach, dann immer detailreicher – und schließlich die ersten Teelichtschwibbögen, etwas ganz Neues zu jener Zeit. Mit jedem Stück wuchs auch der Figurenreichtum. Ein außergewöhnliches Glanzlicht aus Knuth Neubers Schaffen ist der klassische Schwarzenberger Schwibbogen, der erstmals in der Geschichte nicht zwei- sondern dreidimensional dargestellt wurde. Und dazu noch farbig. Eine echte Innovation, die sofort ins Auge fällt und jeden Betrachter begeistert.

Heute besteht das Hauptsortiment aus Pyramiden und Schwibbögen. Die Neuber’schen Produkte gehen über die Dregeno rund um die Welt – bis nach Japan, Australien, Frankreich und in die USA. Die große Kugelpyramide, deren rundes Himmelszelt den Wolkenzauber vom Himmel bis zur Erde umrahmt, ist der letzte Entwurf von Knuth Neuber, der vor einigen Jahren leider verstarb. Seine Frau Annett und Sohn Christian führen die Familientradition fort. Opa Holger ist sehr froh darüber. »Es gibt nicht viele Firmen, wo es weitergeht«, sinniert er und schaut Enkel Christian dankbar an. Christian hat sich schon immer für das Handwerk interessiert – auch das ein Vermächtnis des Vaters, der ihm nicht nur die Liebe zum Holz, sondern auch das nötige Wissen und Können mit auf den Weg gab. »Immer samstags, wenn das Wetter schlecht war, ging mein Vater mit mir in den Schuppen und sagte: ›Komm, wir bauen was Schönes.‹ So entstanden Schiffe und Flugzeuge, kleine Räucherhäuschen und sogar eine Eisbärenburg«, erzählt Christian Neuber, und seine Mutter nickt lächelnd: »Der Dachboden ist rammelvoll.« »Irgendwann dann, so mit 14 oder 15, konnte ich dann schon viel selber machen«, erzählt Christian weiter. »In den Schulferien habe ich Drechselkurse an der Holzspielzeugmacherschule in Seiffen belegt, nach dem Fachabitur in Gestaltung folgten verschiedene Praktika bei renommierten Kunsthandwerkern.« Der Vater war hartnäckig, ließ den Junior immer so lange machen, bis jeder Handgriff saß. Davon profitiert der 21-Jährige jetzt. Und von seiner trotz des jungen Alters schon langen Erfahrung. Als wir ihn im Frühjahr in Leipzig auf der Messe trafen und als Vertreter der »neuen Generation« begrüßten, sagte er lächelnd: »Ich war schon immer mit hier auf der Messe, seit ich laufen kann. Meistens war ich nur mit meinem Roller irgendwo unterwegs.« Unterwegs ist er auch heute gerne noch – und doch ist er froh, in seinem Heimatort Seiffen geblieben zu sein. Als er mit seinem Opa und seiner Mutter vor der Werkstatt hoch über Seiffen auf der Bank sitzt, mit direktem Blick auf die Seiffener Kirche, sagt er voller Zufriedenheit: »Hier hat man alles, was man braucht.«